Industrie 4.0 oder die Kunst noch besser zusammenzuarbeiten

Die schöne neue Industrie 4.0 Welt. Das erinnert an das CIM – Computer Integrated Manufacturing aus den 1980er Jahren und mannlose Fabriken. Es kam zwar anders, dennoch hat sich zwischenzeitlich sehr viel verändert. Diesmal könnte es ähnlich laufen.

Lösungen der Techniker

Industrie 4.0 klingt faszinierend, unheimlich technisch und es birgt Hype-Potenzial. Vernetzung, Internet der Dinge, Smart Factory, smarte Sensoren und Aktoren, CPS oder CPPS (Cyber-Physical Production Systems), grenzenlose (?) Automatisierung und Big Data. Alles geschieht in Echtzeit. Klar, dass da noch viel entwickelt werden muss, ganz zu schweigen von Fragen der Standardisierung und Normung oder dem Schutz von Daten und Wissen. Die Techniker werden es weitgehend hinkriegen. Aber werden wir dann schon am Ziel sein?

Industrie 4.0
Industrie 4.0 – Quelle: Der Wirtschaftsingenieur

Herausforderung für Unternehmer

Was tun alle anderen? Die Geschäftsführer, Vertriebs-, Produktions- und Supply Chain-Leiter u.a.m. Wie kommt der Mensch mit dem mit, was die Technik ermöglicht? Wer bestimmt die Spielregeln. Wer steuert das Ganze? Worum geht es überhaupt?

Industrie 4.0, oder was daraus entsteht, wird die Art und Weise der Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens und zwischen Firmen massiv verändern. In der Folge entstehen neue Geschäftsmodelle. Es ist wahrscheinlich, dass Internet Unternehmen integraler Bestandteil der industriellen Wertschöpfung werden (auch deutsche oder europäische?). Wer am Kopf der Nahrungskette stehen wird, ist ebenfalls nicht ausgemacht. Verbunden damit ist die Frage, wie der zu erwartende Nutzen fair verteilt werden soll. Mehr als den Techniker braucht es also den Unternehmer, der diese Entwicklung steuert.

Zukunft gestalten

Zunächst mal ist Industrie 4.0 eine Einladung an „alle anderen“ (s.o.), diese Zukunft zu gestalten und nicht auf die Techniker zu warten (die sind im Zweifelsfall sowieso schneller). Das kann durchaus klein beginnen. Mögliche Szenarien aus Produzentensicht:

  • Interne Auftragssteuerung:
    Schnelligkeit und Flexibilität basieren ausschließlich auf transparenten (automatisierbaren) Spielregeln.
    Jeder Auftrag und jeder Produktionsschritt beinhalten Informationen, die zur Steuerung der Bearbeitung und des Auftragsflusses dienen. Entscheidend ist jedoch die Steuerungslogik – welcher Auftrag soll zuerst bearbeitet werden, wo ist die nächste freie Bearbeitungseinheit, wann dürfen sich Aufträge überholen, wie werden Auftragsstaus im Durchlauf vermieden? Fragen, die auch heute schon Spielregeln oder Optimierungslogiken verlangen.
  • Planungsentscheidungen
    Disposition und Beschaffung stützen sich auf eine Vielzahl von Informationsquellen.
    Kunden Forecasts sind eine gute Sache, stoßen aber an Grenzen. Manchmal weiß das eigene Unternehmen besser, was und wie viel der Kunde wann benötigt. Die Quellen sind vielfältig: von Vergangenheitsdaten über Endkunden Trends oder Rohstoffmärkte bis zum Wetter. Die Frage ist, wo lohnt es sich in solche „Big Data“ Auswertungen zu investieren.
  • Kunden-Lieferanten-Verhältnisse in einer Industrie 4.0 Welt:
    Lieferketten bestehen aus vielen kleinen „virtuellen Fabriken“.
    Trotz strategischer Partnerschaft, werden Lieferprozesse der Zulieferer zunehmend fremdgesteuert. Der Kundenauftrag läuft in dessen „eigene virtuelle Fabrik“ beim Lieferanten; er landet direkt in der Vorfertigungs- oder Montageeinheit und sucht sich seinen Weg bis zur termingerechten Auslieferung. Das lässt sich nur verträglich gestalten, wenn zwischen Kunde und Lieferant Spielregeln vereinbart sind, die auch im Konfliktfall mit Aufträgen anderer „autonomer“ Kunden funktionieren. Lieferanten sollten also bestrebt sein, die Hoheit über diese Spielregeln zu behalten.
  • Produktlieferant – Hersteller:
    Produktlieferanten gewinnen neue Optionen, Herstellungsprozesse zu konfigurieren.
    Hier die umgekehrte Sicht. Die Grenzen von In- und Outsourcing könnten verschwimmen. Wer die Produkthoheit hat sucht sich die erforderlichen Herstellungskompetenzen immer wieder neu zusammen, beispielsweise für Europa in Europa, für Asien in Asien. Langfristige Kooperationen bleiben nur bestehen, wo handfeste Know-how Vorteile geschützt werden sollen oder sehr spezifische Fertigungseinrichtungen nötig sind.
    Im Extremfall werden Lieferketten sehr kurzfristig gebildet, beispielsweise um einen besonders großen Auftrag abzuwickeln oder um trotz niedrigem Verkaufspreis eine auskömmliche Marge zu realisieren (ggf. mit einem ebenfalls kurzfristig vereinfachten Produkt).
  • Unternehmerische Eigenständigkeit:
    Wer die Steuerungskompetenz hat steht an der Spitze der Pyramide.
    Wo heute die Technologie ausschlaggebend ist, wird es morgen eher die Agilität sein. Wer als Systemintegrator die erforderlichen Kompetenzen schnell bündeln kann, gewinnt den Auftrag. Produkt und Dienstleistung gehen zusammen.

Heute beginnen

Die Industrie 4.0 Revolution fällt aus. Die Dinge entwickeln sich Schritt für Schritt. Das Schwierigste daran ist unser Umgang mit den zu erwartenden Veränderungen. Wir können heute anfangen, wenn wir nicht ohnehin schon mitten drin sind. Beispielsweise mit folgenden Ansätzen:

  • Prozesse beherrschen und regeln.
    Gute regelbasierte Entscheidungsprozesse, beispielsweise welcher Auftrag soll wo als nächstes bearbeitet werden, können nur getroffen werden, wenn die Eigenheiten der Prozesse verstanden und Vorfahrtsregeln für Aufträge klar sind. Umgekehrt bedeutet das Verzicht auf willkürliche Eingriffe in die Steuerung und ad-hoc Improvisation. (Der allererste Schritt jedoch besteht darin, Prozesse robust, also wenig störanfällig zu gestalten.)
  • Schnelle, flexible Herstellung kleinster Stückzahlen.
    Optimale Losgrößen“ bilden eine Denkblockade. Wer von Spezialitäten und kurzen Reaktionszeiten lebt, muss auch heute schon die entsprechenden Fähigkeiten zur bestandsarmen Fertigung in Kleinststückzahlen erwerben. Am besten bevor die Technik es irgendwann auch dem Durchschnittsproduzenten erlaubt.
  • Offenheit statt Abschottung.
    Kooperationen scheitern selten an der Technik. Die Währung in der Zusammenarbeit ist Vertrauen. Althergebrachte Grenzen werden durchlässig, wenn Kunde und Lieferant gezielte Experimente wagen und sich gegenseitig „realtime“ in die Karten schauen lassen; ein Schritt sind beispielsweise Vendor-Managed-Inventory (VMI) Lösungen. Im Übrigen gibt es firmenintern meist auch noch genügend Gelegenheiten zum Üben, beispielsweise im Verhältnis zu Nachbarabteilungen oder zu Tochterunternehmen.

Szenarien – Industrie 4.0

Es lohnt sich, eigene Industrie 4.0 Szenarien der Zukunft zu entwickeln und mit kleinen Projekten erste Veränderungen zu bewirken. Auch schadet ein Blick über den Tellerrand nicht: auf das, was die Amerikaner tun, Industrial Internet, oder auf die Frage „Wem gehört die Zukunft?“ – siehe das gleichnamige Buch zur (humanen) Internet-Ökonomie von Jaron Lanier, dem diesjährigen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels.

Sicher ist, da rollt kein Naturgesetz auf uns zu, sondern ein von Menschen gestaltbares Morgen. Die Chance sollten Sie sich nicht entgehen lassen. Ohne die Kunst der Zusammenarbeit zu üben, intern und mit externen Partnern, findet aber auch Industrie 4.0 mit ihrem Unternehmen nicht statt. Wäre schade!

You may also like

3 comments

  1. Ich denke, da sind einige Mitspieler bereits kräftig am Werk. Im Rückspiegel der „WamS“ v. 20.7. stand: „Was würde Steve Jobs wohl dazu sagen? Apple will über eine Partnerschaft mit dem einst verhassten Gegner IBM stärker ins Geschäft mit Unternehmen vorstoßen. Mehr als 100 neue Apps für iPhone und iPad sollen verschiedene Geschäftsprozesse abbilden ….“. Ich bin überzeugt davon, dass diese „Gadgets“ die Zusammenarbeitsmodelle auch in der Supply Chain beeinflussen und verändern werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.