Krise (bald) überstanden – nichts gelernt?

Irgendwann zeigt sich wieder Licht am Ende des Tunnels. Aber noch stecken wir tief drin in der Krise. Erfolgreiche Krisenbewältigung schafft Helden. Ausgaben stoppen, gute Konditionen mit Lieferanten und Banken sichern, kurzfristig neue Aufträge hereinholen, gelassen bleiben. Alles ist sehr wichtig. Genug ist es nicht. Krisenmanagement und Lernen sind sehr verschiedene Kompetenzen. Wer jetzt den Mut hat, etwas tiefer zu analysieren und etwas weiter zu schauen, hat beste Chancen zu den Helden von morgen zu gehören. Da wir im Moment eine Art Kreislaufkollaps in der Weltwirtschaft erleben, steht die Supply Chain und weniger die Innovations-Pipeline im Mittelpunkt. Lieferketten sind gleichzeitig die Cash-Flow Ketten der Unternehmen und damit ihr Lebensnerv. Was können wir lernen?

1. Offensiv auf veränderte äußere Umstände reagieren
Die Volatilität der Märkte hat in den letzten 10 Jahren stark zugenommen. Am besten erkennbar ist das an den extremen Schwankungen der Aktienmärkte. Ein anderes Beispiel sind die Rohstoffpreise. Kupfer hat zwischen 2004 und 2008 jedes Jahr Preisschwankungen um den Faktor 1,5 bis 3 durchlaufen. Die übliche Augenblickserwartung, dass wirtschaftliche Trends anhalten, kann man getrost vergessen. Wir müssen uns mit den Schwankungen anfreunden.
Wer nicht spekulieren will oder professionelles Preis-Hedging betreiben kann, sollte versuchen, die Welle zu reiten. Das geht nur mit Schnelligkeit. Ein Beispiel. Teuer eingekaufter Stahl eines Maschinenbauers entgeht dem Risiko des Preisverfalls, wenn er möglichst schnell als fertige Maschine das Werk wieder verlässt. Außer bei sehr heiklen Spezialmaterialien ist es sinnvoller, das Polster auf der Bank haben, als im Lager. Einkäufer müssen umdenken: der Einstandspreis allein ist kein Garant für günstige Kosten; sehr kurze, verlässliche Wiederbeschaffungszeiten sind häufig viel wichtiger und lohnen einen gewissen Mehrpreis.
Private Equity hat manch müden Betrieb aufgemischt. Wenn es aber nur um die (kurzfristige) Rendite geht, bleibt der langfristig angelegte Unternehmensbeitrag in Markt und Gesellschaft zweitrangig. Der Markt bestraft das gelegentlich. Problematisch wird es, wenn alle wie die Lemminge überzogenen, monetären Normen folgen und dabei die eigene Verantwortung vergessen. Nun geht es hier nicht um eine moralische Wertung, sondern schlicht darum, dass solche Trends wie Scheuklappen wirken und einen Teil der Realität ausblenden. Ein Grundkonsens von Wertvorstellungen (Soziale Marktwirtschaft), ein wacher Blick auf gesellschaftliche Anliegen (Klimawandel, soziale Teilhabe/Hartz IV, Bildung) und ökonomische Binsenweisheiten bewahren vor der Gefahr, den falschen Propheten oder „Sachzwängen“ hinterherzulaufen.

2. Das eigene Haus in Ordnung bringen
So lange ein Betrieb am Limit arbeitet, geht es darum, lieferfähig zu bleiben. Jetzt aber ist es sinnvoll, nicht nur kurzfristig Kosten zu senken, sondern auch die alten Limitierungen in Frage zu stellen – auch wenn die im Moment gar kein Problem darstellen. Was hindert uns daran, mit der gleichen Kapazität mehr Output zu schaffen und dauerhaft kostengünstiger zu werden? Zwei einfache Grundsätze zeigen, wo die Lösung zu suchen ist: Ohne Nachfrage keine Produktion und Keine Zeit zum Warten. Der Schlüssel liegt im Umgang mit Zeit. Wer die Zeiten beherrscht und schneller wird, erntet Kostenvorteile und Liquidität.
Das ist nicht neu. Was vielfach jedoch fehlt, ist die Durchgängigkeit und Konsequenz – und gleichzeitig der Verzicht auf gegenläufige Optimierungsziele. Der enge Blick auf Stückkosten beispielsweise hindert vielfach daran, Losgrößen massiv zu reduzieren oder scheinbar hocheffiziente Automatisierungsinseln zu vermeiden. Das Prinzip Fließfertigung lässt sich mit cleveren Steuerungsverfahren, Anpassungen im Fertigungslayout und kleineren Investitionen auch bei einem Auftragsfertiger mit hoher Produktvielfalt realisieren. Wo ein klarer Wille des Managements ist, finden die Mitarbeiter einen Weg. Mit Anschub von außen, geht’s leichter. Handeln Sie jetzt antizyklisch, auch wenn sich der massive Effekt an Kapitaleinsparung und Produktivitätsgewinn erst bei vollen Auftragsbüchern einstellen sollte.

3. Chancen- und Risiko-Management als Daueraufgabe
Was heute optimal erscheint, kann unter geänderten Randbedingungen zum Stolperstein werden. Das kann eine mutige, genauso wie eine unterlassene Investition sein. Nur mit strategischem Weitblick sichern Sie die operative Exzellenz in der Zukunft. Da gibt es viele Ansatzpunkte, beispielsweise das Portfolio an eigenen Technologien, das Spektrum an eigen oder fremd gefertigten Produkten, die Fertigungstiefe, Automation versus hoch flexibler, einfacherer Arbeitsplätze, die Standortstrategie, die Qualifikation der Mitarbeiter, Arbeitszeitmodelle, Kooperationen mit vergleichbaren Unternehmen und mit Kunden, etc. Die Option Liefernetzwerke risikofester zu gestalten, habe ich im Blog vom Februar 2009 angesprochen. Die Wahl der Mittel ist letztlich von den spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens und der eigenen Kreativität abhängig.
Der Prozess des Chancen- und Risikomanagements jedoch ist allgemeiner Natur. Ausgangspunkt sind die Vorstellungen über die Zukunft. Damit ist keine wacklige Vorhersage gemeint, sondern das Denken in Szenarien. Extrem-Szenarien beinhalten gerade auch derzeit eher unwahrscheinliche Entwicklungen. Die Frage ist nun, wie man Geschäftsmodelle und Strategien so gestaltet, dass sie auch mit außergewöhnlichen, sehr unterschiedlichen Veränderungen fertig werden. Szenario Planung ist, wenn sie nicht oberflächlich bleiben soll, allerdings eine recht aufwendige Übung. Aber vielleicht ist gerade jetzt die Zeit, so etwas anzupacken.

Achtung: Fallstricke des Lernens
Krisenmanagement erfordert „quick fixes“. Zwischen Maßname und Ergebnis darf nicht viel Zeit vergehen. Grundlegendes Lernen spielt sich jedoch in ganz anderen Zeitzyklen ab. Zwischen ursächlichen Ereignissen und ihren Folgen liegen häufig längere Zeitspannen. Dazu kommt, dass sich in der Analyse Ursachen nicht einfach voneinander unterscheiden lassen. Gleiches gilt in Bezug auf die Zukunft. Heute getroffene Maßnahmen zeigen erst in Monaten oder gar Jahren Wirkung. Im Unterschied zum Krisenmanagement, wo konkrete Leistungsziele schnell erreicht werden müssen, liegt das Ziel für Lernvorhaben eher in Änderungen des Verhaltens und der Orientierung an neuen Leitprinzipien.

„Radikales“ Lernen bedeutet auch, eigene Überzeugungen und Erfahrungen in Frage zu stellen. Das fällt manchmal schwer und erfordert Mut. In der Konsequenz heißt das, bestehende Planungen und Budgets anzupassen. Kurzfristig ist das meist keine populäre Maßnahme, auf lange Sicht lohnt es allemal.

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1 comment

  1. Ich bin die Tage wieder auf ein „altes“ Thema gestoßen: Von Donella Meadows gibt ein neues Buch – Thinking in Systems. Auf Seite 65 zeigt eine schöne Graphik das der Einbruch nach dem Aufstieg steiler (tiefer) wird je mehr Resource (Öl, Markt, …) zur Verfügung steht. Wir versuchen heute die Resouce immer schneller zu nutzen, wir haben aber die Wirkweise des Systems nicht verstanden – wie könnten wir sonst vom Zusammenbruch überrascht sein? Anstatt krisengeschüttelt zu „quick fixes“ zu greifen, die in der Regel auch zurück schlagen, können wir die Systeme beschreiben und mögliche Scenarien diskutieren bevor sie passieren.

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