Die Entdeckung der Langsamkeit. Zeit reduzieren braucht Zeit.

„Mache einen Umweg, wenn Du es eilig hast“ (Konfuzius) ist für einen Logistiker schwer zu fassen. Schnelligkeit ist alles. Leider kommt da das Wollen häufig vor dem Können. Es ist sehr verständlich, dass die Unternehmensleitung in Zeiten knapper Kassen eine Halbierung der Bestände an Rohmaterialien, Halbfertigprodukten und Fertigwaren fordert und das Ergebnis in wenigen Wochen sehen will. Unter Ausblendung aller anderen Zielgrößen lässt sich kurzfristig meist auch einiges erreichen. Aber mehr als ein Jojo-Effekt mit unangenehmen Nebenwirkungen kommt dabei nicht raus. Die alten Übel sind nur kurzfristig verschwunden. Wertvolle Zeit ist vertan. Eine Therapie, die an die Wurzel geht? Fehlanzeige.

Beispiel Dampfmaschine

Gerade lese ich das Buch „Technik in Deutschland“ von Joachim Radkau (Campus Verlag 2008), ein spannender Abriss der Technikentwicklung als Teil der Geschichte unseres Landes. Da wird beschrieben, wie langsam sich die Dampfmaschine in Deutschland durchgesetzt hat: „Die Dampfmaschine revolutionierte nicht sogleich die Wirtschaft, dafür die Zukunftsperspektiven.“ Erst als ein wirklicher Bedarf entstanden und die Technik entsprechend den lokalen Gegebenheiten angepasst worden war sowie mit Kohle ein bezahlbarer Brennstoff zur Verfügung stand, verbreitete sich der Einsatz. Am Ende waren die deutschen Fabriken technisch weiter als die englischen. Fortschritt entsteht nicht nur aus der technischen Lösung an sich, sondern vor allem aus der intelligenten Anpassung an lokale Gegebenheiten und Kundenbedürfnisse.

Analogie Logistische Systeme

Gibt es eine Analogie zu logistischen Systemen? Was sind heute deren Standard-„Techniken“? Zwei Beispiele: Die Globalisierung erlaubt eine hohe Fragmentierung der Wertschöpfung mit ausgeprägt weltweiter Arbeitsteilung. Vernetzte Computersysteme und Internet ermöglichen die Zentralisierung von Entscheidungs- und Steuerungskompetenzen auch in sehr großen Unternehmen – wenn die Qualität der Informationen stimmt. Sind das nun Paradigmen oder eher zeitgeistbezogene Ideologien? Jedenfalls besteht die Gefahr, solchen Strömungen unkritisch zu folgen. Auch hier zwei Beispiele: Bei einigen sehr erfolgreichen Mittelständlern fällt auf, dass sie eine sehr hohe eigene Wertschöpfung aufrechterhalten und ihr Heil gerade nicht in einer extrem differenzierten weltweiten Arbeitsteiligkeit suchen. Dagegen bauen viele Großkonzerne in Hightech- und Automobilindustrie auf zentrale Steuerungs-Mechanismen mir sehr eingeschränkter lokaler „Intelligenz“.

In Alternativen denken …

Die Lehre aus dem Beispiel mit der Dampfmaschine ist, dass die wesentliche Innovationsleistung die optimale Anpassung an Kundenbedürfnisse, Märkte und Umfeldfaktoren ist. Auch damals wurde die mangelnde Schnelligkeit im Einführen der neuen Technik beklagt. Die Qualität der Adaption machte aber den entscheidenden Unterschied und führte schließlich zum wirtschaftlichen Erfolg. Übertragen auf Supply Chain Management heute bedeutet das, vorherrschende Grundüberzeugungen kritisch hinterfragen und Alternativen überlegen, auch wenn in es in der Begründung neuer Strategien ja häufig heißt, „ … dazu gibt es keine Alternative.“ Das ist meist kompletter Unsinn.

Die Entdeckung der Langsamkeit zielt auf die bessere Lösung, die nicht immer einfach und sofort zu haben ist. Ein erster Schritt ist, den vermeintlich aktuellen Überzeugungen oder Suggestionen Alternativen gegenüberzustellen:

Herrschende Überzeugung

Alternativen?

Schneller Abbau von Lagerbeständen durch Verlagerung zu Vorlieferanten. Fähigkeiten und Vertrauen puffern Bedarfsschwankungen und substituieren physische Bestände
Ohne verstärktes globales Sourcing geht es nicht. Lokale „Cluster“ fähiger, hochflexibler Zulieferer.
Optimale Ergebnisse erfordern eine komplexe Steuerungslogik in Fabriken und Lieferketten. Kurze Lieferketten sowie einfache Prinzipien und Steuerungsmechanismen.
Hohe Rationalisierung durch identische Prozesse und zentrale Entscheidungsstrukturen. Subsidiarität und Wettbewerb: zentraler Ordnungsrahmen mit ausgeprägten lokalen Kompetenzen und Verantwortungen im internen Wettbewerb.
Komplexe Supply Chains lassen sich nur mit vielen Kennzahlen steuern. Wer die Zeit in dynamischen Prozessen beherrscht, erreicht 80% aller anderen Forderungen ebenfalls.

… und mit der Zeit zum Ziel kommen.

Gerade in diesen krisengeprägten Zeiten sollten wir uns gelegentlich an die Fabel vom Hasen und Igel erinnern. Der, der besonders schnell rennt, kommt dennoch nicht immer früher an. Er ist am Ende aber auf jeden Fall erschöpft. Also, halten Sie es mit dem Igel: erst ein paar Takte nachdenken und sich dann das Rennen sparen.

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2 comments

  1. Lieber Reinald,

    mich fasziniert die Art und Weise, wie Du das Denken über Alltägliches anders herum aufstellst. Wie so häufig scheinen unsere Probleme auch durch die Muster unseres bisherigen Denkens provoziert zu werden.

    Ich finde Deine Denke erfrischend!

    Herzlichen Gruß, Stephan

  2. „Ausblendung aller anderen Zielgrößen lässt sich kurzfristig meist auch einiges erreichen. Aber mehr als ein Jojo-Effekt mit unangenehmen Nebenwirkungen kommt dabei nicht raus.“
    Fixes that fail – gut gemeinte Behandlung von Symptomen löst die Ursachen nicht. So kommt es zu unerwünschten Nebenwirkungen und nach einiger Zeit zur Wiederholung der Probleme. Die Strategie heißt: An den Ursachen arbeiten. Die Ursache kann in widersprechenden Zielen der Beteiligten liegen: Lagerbestände runter oder flexibel liefern? Hier braucht es den breiteren Blickwinkel – das gemeinsame, wichtigere Ziel im Unternehmen – z.B. Kundenbeziehungen erhalten. Und es braucht den Mut, das Vertrauen in die Lösung zu investieren – Zeit. Hier können Mittelständler ihre Flexibilität voll ausspielen.

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