Der menschliche Faktor in der Supply Chain.

Mein Idealbild einer Supply Chain ist eine Mischung aus Amazon (durchgängige Prozesse) und Mandarin Oriental (super Service). Perfektion im Ergebnis gehört nicht zwingend dazu, das Streben genügt.

Irren ist menschlich …

und auch Computer finden Grenzen. Selbst Amazon vollbringt keine Wunder. Kürzlich hatte ich ein amerikanisches Wirtschaftsbüchlein bestellt und mit der Bestätigung den Hinweis erhalten, dass ich mit bis zu drei Monaten Lieferzeit rechnen müsse. Kurz vor Ablauf dieser Frist kam der Bescheid, dass der Titel nicht verfügbar sei. Wenig später stand ich in einem Buchladen am Flughafen in Bangkok – und da lagen fünf Kopien des Bändchens im gutsortierten Sortiment. Dennoch war ich mit Amazon zufrieden; der (Computer-)Prozess hatte sich auch nach fast zwölf Wochen an mich erinnert und mich auf dem Laufenden gehalten.

Im Hotel, in der Autowerkstatt, auf dem Amt, selbst im Wartezimmer beim Arzt ist es wohltuend als Mensch wahrgenommen zu werden, der mit je eigenen Bedürfnissen auf einen Dienst angewiesen ist. Ich habe zwar die Erwartung, dass die Abläufe „für mich“ optimal funktionieren, bringe aber Verständnis für kleine Schwächen auf, wenn ich erkenne, dass auch dem Dienstleister diese Mängel nicht verborgen geblieben sind und (es) freundlich kommuniziert wird. Es braucht also aufmerksame Menschen, um Mängel festzustellen und es braucht den Willen und die Fähigkeit, die Dinge anschließend besser zu machen. Auch das ist Service.

Produktion als Dienstleistung

Supply Chain Management ist nichts anderes als eine Dienstleistung. Eigentlich simpel, ist aber als Erkenntnis nicht überall durchgedrungen. Kern industrieller Lieferketten sind Produktionsprozesse. Produktionsorganisationen führen gelegentlich ein Eigenleben mit der Neigung, sich selber zu optimieren. Wenn das Streben nach Effizienz über fixierte Planungshorizonte, optimierte (?) Losgrößen oder größere Materialbestände führt, manchmal auch über nur optisch lean geführte Fabriken, bleibt der kundenbezogene Lieferservice schon mal auf der Strecke. Nur, was macht eine Produktion ohne zahlende Kunden?

Dienende Infrastruktur (und Prozesse)

Lieferkette klingt erstmal technisch. Produktionseinheiten und Läger sind über Informations- und Transportmechanismen miteinander verknüpft. Am Ende der Kette steht ein Wert für den Kunden. Über Supply Chains lässt sich viel lernen, wenn man eine Stadt, ihr Verkehrsnetz und die Dynamiken, die dort herrschen, betrachtet. Verkehrsteilnehmer starten mit einem Ziel vor Augen, sie wählen die am günstigsten erscheinende Fortbewegungsart. Das Fahrrad ist wendig und ressourcenschonend. Wer mit dem Auto fährt, nimmt Staus in Kauf, die auch noch die Luft verpesten. Werden Probleme offensichtlich, folgt bald der Ruf nach neuen Investitionen, um meist mehr vom Gleichen zu schaffen.

Tomoo Marukawa ist Professor an der Universität von Tokio und hat in einer Studie Peking mit Tokio verglichen: China’s congested cities could take a cue from Tokio.* Peking ist kleiner, hat vergleichbar viele Autos pro Einwohner, mehr U-Bahn-Linien und ein viel längeres U-Bahn-Netz – jedoch viel größere Probleme. Die Leute nutzen dort zu 41% Auto und Taxi (Tokio: 14%), Bus und Bahn dagegen nur 37% (Tokio: 66%). Der Rest fährt überwiegend Fahrrad. Woran liegt der Verkehrsgau in Peking? Offensichtlich spielt weniger eine Rolle wie viele U-Bahn-Linien oder Haltestellen es gibt, sondern was um diese Haltepunkte herum passiert. Wenn Büro und Einkaufsmöglichkeiten von dort fußläufig erreichbar sind, lässt man das Auto gerne in der Garage. Und wenn sich nicht alles im Zentrum drängt, verteilt sich auch der Verkehr.

Die Dinge mit Köpfchen wachsen lassen (Tokio), statt auf schnelle Reißbrettlösungen zu setzen, ist auch für Produzenten und Logistiker keine schlechte Strategie, preiswerter ist es zudem. 

Der menschliche Faktor

Einen weiteren Aspekt von Wertschöpfungsketten beleuchtet die Service-Profit-Chain, beschrieben in einem Artikel der Harvard Business Review von 1994**. Lange her, immer noch aktuell. Der simple Grundgedanke gilt für alle Servicegeschäfte: „put employees and customers first“ – ohne zufriedene Mitarbeiter keine zufriedenen Kunden. Alles andere kommt fast von selbst, auch der Gewinn. Einem Robert Bosch musste man das sicher nicht erklären.

Wie immer ist’s nicht ganz so einfach. Zufriedensein, dynamisch verstanden, ist das Ergebnis von Anstrengung und zeigt sich in Erkenntnissen (aus Fehlern lernen), Erfolgen und erfahrener Wertschätzung. Produktivität ist die Folge. Das  erschließt sich leicht, wenn man beispielsweise den Krankenstand in verschiedenen Betrieben vergleicht, nach Ursachen forscht und häufig bei Führungsthemen landet. Gute Führung ist entscheidend, nicht Gesundheitsprogramme. In Supply Chains kommt es auch noch auf geeignete Verantwortungsstrukturen an.

Wer Produzieren und Liefern als Service begreift, sollte das beherzigen. Auch zu Toyota und dessen „Kata“, Grundhaltungen oder Verhaltensroutinen als Basis der Lean Management Kultur, ist es nicht weit. Der Mensch macht eben den Unterschied, als (Mit-) Gestalter, nicht nur als Ausführender oder gar Kostenfaktor. Das gilt für den Maschinenführer oder Logistiker genauso wie für Vorarbeiter oder Manager. Dazu passt auch das Stichwort „Emotional Culture“***. Vielleicht ein bisschen amerikanisch, dennoch sehr anregend.

* Tomoo Marukawa in Nikkei Asian Review, Februar 4, 2016
**Putting the Service-Profit Chain to Work,  J.L. Heskett, Th. O. Jones, G.W. Loveman, W. E. Sasser, Jr, L. A. Schlesinger, Harvard Business Review, March-April 1994.
*** Manage your Emotional Culture, Sigal Barsade and Olivia A. O’Neill; Harvard Business Review, January-February 2016

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