Oder: Wer füllt die organisatorischen Lücken?
Wenn von Verantwortung die Rede ist, denkt der angespannte Manager an Karriere, Bürde, geregelte Kompetenzen, Entscheidungen oder das Risiko Fehler zu machen. Aber Freude? Die kommt doch eher zufällig auf, wenn mal etwas besonders gut gelaufen ist. Dabei könnte doch Freude die wesentliche Motivation sein, Verantwortung zu übernehmen. Jedenfalls wäre dann vieles leichter und besser.
Funktional klar strukturierte Organisationen sind sehr übersichtlich und bieten eine gewisse Sicherheit. Nur kommen sie nicht mit Komplexität zurecht: Geschäftsmodelle, die sich veränderten Marktbedingungen anpassen; Wertschöpfungsketten im Umbau oder einfach nur Lieferkettenabschnitten, in denen mehr als ein Bereich wirkt. Die gibt es in jedem herstellenden Unternehmen. Betrachten wir nur die Strecke vom Teilelager bis zum Fertigwarenlager oder Versand zum Kunden. Da gibt es die Montage, die Produktionslogistik, das Lager selbst, vielleicht auch einen externen Dienstleister, es gibt Disposition, Planung und Steuerung. Halb so schlimm, wenn da nicht noch Kunden wären, die anders bestellen als im Forecast geplant, Kapazitätsengpässe, die immer wieder wechseln oder ganz normale Störungen im täglichen Betrieb.
Nun kann man den Versuch unternehmen, klare Stellenbeschreibungen und Verantwortungsübergänge zu definieren. Manchmal passiert es dann, dass vor lauter Bäumen der Wald nicht mehr zu sehen ist – und jeder erklärt, warum irgendetwas mal wieder nicht funktioniert hat. Wer aber aus der operativen Riege übernimmt letztlich die Verantwortung dafür, dass Lieferungen pünktlich ins Lager und zum Kunden kommen? Und was braucht es, damit sie oder er das (gern) tut?
Eine fertige Antwort habe ich auch nicht. Fünf fragende Gedanken:
- Flache Hierarchien oder Matrixorganisation?
Wo unterschiedliche Interessen unter einen Hut gebracht werden sollen, bietet sich die Matrixorganisation an. Sie ist kommunikationsintensiv, in hierarchieorientierten Organisationen nicht ganz leicht zu leben und sie degeneriert gelegentlich zur Reporting-Struktur. Für das oben beschriebene Beispiel eignet sie sich kaum. Anders sieht es, auch in größeren Unternehmen, mit flachen Hierarchien aus. Je weniger Ebenen es gibt, desto größer die Chance, dass Entscheidungen dort getroffen werden, wo der operative Sachverstand am größten ist. Der beliebten Delegation nach oben sind Grenzen gesetzt. Der nicht zu unterschätzende Nebeneffekt, höhere Anforderungen an Qualifikation und Eigenständigkeit der Führungskräfte. - Hoher sozialer Status oder Prügelknabe?
Verantwortlich sein wird allzu oft als „schuld sein“ missverstanden. Dabei entwickelt sich die Kunst des Gelingens über das Lernen aus Fehlern. Nur wer aus Fehlern nicht lernen will (oder kann), hat wirklich ein Problem. Erst der Umgang mit Fehlleistungen zeigt Führungsfähigkeit und die Übernahme von Verantwortung. Dabei haben vor allem die höheren Chargen einen Personalentwicklungsauftrag für ihre Führungskräfte. Sozialer Status wird nicht verliehen, sondern entsteht durch erlebte Praxis. - Kooperation oder Abgrenzung?
Über Stellenbeschreibungen oder mit gemeinsamen Problemlösungsrunden – wie arbeiten benachbarte Abteilungen zusammen? Falls ein Staffellauf nicht mehr im Stadion, sondern in hügeligem Gelände stattfindet, darf es auch nicht besonders exakt zugehen. Da muss dann schon mal jemand etwas anders laufen als geplant. Neue Situationen gemeinsam meistern, darum geht es. Rollen werden eher situativ wahrgenommen: wer es am besten kann, macht es (aber nicht immer derselbe). Und noch eins: wer Verantwortung übernimmt, tut das für ein Ziel und für ein Ganzes – und füllt damit die Prozess-Lücken, die in jedem Organisationsdesign stecken. - Gestalten oder Rückversichern
In manchen Organisationen gibt es eine Expertokratie (häufig gepaart mit „over-engineering“). Bevor eine Entscheidung getroffen wird, muss jeder irgendwie tangierte Fachmann aus seiner Warte Stellung beziehen. Nicht selten tritt dabei das ursprüngliche Ziel völlig in den Hintergrund. Die Alternative ist, einfach mal etwas zu wagen, aber nicht ins Blaue, sondern als „kontrolliertes Experiment“ und ausgestattet mit den nötigen Basiskompetenzen. Das klappt jedoch nur, wenn das Management das aktiv fördert, Fehler-Machen inklusive. Womit wir zum letzten Punkt kommen. - Vertrauen oder Zumutung?
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? So wird Verantwortung schnell zur abschreckenden Zumutung. Andererseits erfordert Vertrauen schenken auch schon mal gute Nerven, Zeit für Coaching und viel Geduld. Im mit Meetings durch getakteten Manageralltag findet das nicht so ohne weiteres Platz, sollte es aber. Eine Zumutung ist dennoch dringend erforderlich: qualifizierten Mitarbeitern und Führungskräften muss Verantwortung „zugemutet“ werden.
Freude ist eine innere Haltung. Sie kommt nicht von selbst, sondern ist mühsame Arbeit in Organisationentwicklung und persönlichem Wachstum, meist auch ein Stück Kulturveränderung. Auf’s Top Management gemünzt kann das heißen „einladen und ermuntern“, um brachliegende Potenziale zu erschließen. So würde es wohl der Hirnforscher Prof. Gerald Hüther ausdrücken (in Anlehnung an sein Buch „Was wir sind und was wir sein könnten“, S. Fischer Verlag 2011). Wie das ganz praktisch beginnen kann? Im Team nachdenken, sich auf eine 80%-Lösung beschränken, entscheiden, schnell handeln und (positive) Erfahrung sammeln, …dann kommt eben doch Freude auf (vielleicht auch erst beim dritten Versuch).
2 comments
Und wie hält man den Schwarm zusammen? Ich würde Kennzahlen hinzufügen, wenige! Kennzahlen geben Freiraum wie sie erreicht werden und binden doch alle an das Ziel. Sie können Diskussionen versachlichen, zu gemeinsamen Diskussionen führen. Kennzahlen zu vereinbaren, die relevant und nicht widersprüchlich sind ist auch nicht trivial. Also ein vierter Versuch …
Hallo,
ich bin eigentlich eher durch Zufall auf Ihre Seite gekommen. Nachdem ich mich ein wenig durchgelesen habe, muss ich sagen Ihre Seite gefällt mir sehr. Ich werde in Zukunft öfters mal vorbei schauen!
Viele Grüße aus Sinsheim