Die Kraft ungewöhnlicher Ideen

Raus aus der Status Quo Falle

Die deutsche Atomwende hat es eindrucksvoll gezeigt: der beharrlichen Status-quo Strategie großer Energiekonzerne steht die latente Grundüberzeugung für eine neue Energiepolitik gegenüber und mit einem einzigen einschneidenden Ereignis (Fukushima) fällt das bis dahin stabil erscheinende Kartenhaus zusammen. Dabei hatte sich an den „Fakten“ ja gar nichts geändert. So wie es Eon, RWE & Co. erging, aus anderen Gründen auch Schlecker, so kann ein einst lukrativer Status-quo auch ganz normalen Unternehmen plötzlich zur Falle werden.

Beispiele aus der Welt der Supply Chains und Unternehmen, die solche Fallen rechtzeitig vermieden haben, schildert der Stanford Professor Hau L. Lee (Harvard Business Review vom Oktober 2010). Es geht um Nachhaltigkeit* in der Geschäftspolitik. Da werden strategische und strukturelle Änderungen in Gang gesetzt, nicht punktuelle Maßnahmen zur Lösung einzelner Probleme.

Nachhaltige Supply Chains

So ein Fall ist das Textilunternehmen Esquel in Hongkong. Esquel beliefert Modemarken wie Hugo Boss oder Tommy Hilfinger mit Baumwoll-Hemden. Stark vertikal integriert, produziert Esquel Baumwolle und Hemden in China, in Eigenregie, aber auch mit Partnerfirmen. Das spannende ist, dass sich aus dem Anspruch nach „Green Supply Chain“ und sozialeren Arbeitsbedingungen hier noch ganz andere Chancen entwickelt haben. Partnerschaftliche Arbeitsmodelle, zunächst höhere Kosten und neue Kooperationen, z.B. mit einer Bank zur Vergabe von Mikrokrediten, führten bei Esquel zu einer langfristigen Absicherung der Lieferantenbasis und weiteren ökonomischen Vorteilen, nicht zuletzt einer geringeren Abhängigkeit von Preisfluktuationen am Rohstoffmarkt.

Supply Chains bestehen, oberflächlich betrachtet, hauptsächlich aus Geschäfts-Transaktionen. Für eine nachhaltige Strategie jedoch, so Peter Senge** (The Fifth Discipline, MIT), braucht es den größeren Systemzusammenhang. Die Ebene hinter der Transaktion, die Struktur, vor allem aber die Beziehungen zwischen den Akteuren sind viel bestimmender. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, kommt hinzu, dass es noch ganz andere Quellen von Kompetenz gibt, die Unternehmen anzapfen und einbinden können, um zu ganz neuen Lösungen zu kommen, z.B. Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO).

Miteinander sprechen

Das Filmunternehmen Pixar hat für seine Zentrale ein ungewöhnliches Gebäudelayout gewählt. Herzstück ist ein großes Atrium, ein interner Knotenpunkt, um den niemand herum kommt. Viele zufällige Begegnungen sind an der Tagesordnung, spontane Gespräche fördern den kreativen Gedankenaustausch, die Zusammenarbeit, vor allem mit Kollegen, die man nicht regelmäßig trifft, kann sich entwickeln. Die Idee stammt von Steve Jobs, dem Gründer von Pixar***. Auch im Zeitalter von Twitter, Email und PowerPoint bleibt die direkte persönliche Kommunikation die wirkungsvollste Art, Dinge voranzubringen. Wir vergessen das manchmal, Steve Jobs jedoch wusste das (und ein Freund formaler PowerPoint Präsentationen war er ohnehin nicht). Wenn es um die so transaktionslastigen Supply Chains geht, gilt das Gleiche (siehe oben).

Neue Ideen – Ungewöhnliches wagen

Ein ganz anderes Beispiel, wie ungewöhnliche Taten nachhaltig verändern, konnte ich kürzlich in Medellin, Kolumbien beobachten.

Metrocable in Medellin, Kolumbien

Die einstige Drogenhauptstadt der Welt, die nach wie vor unter vielen Problemen leidet, erobert unter dem Leitspruch „mas integración“ und mit ungewöhnlichen Mitteln einst hoffnungslose Armuts- und Gewaltbezirke zurück, die sich an den steilen Hängen des Medellin-Tals hochziehen. So erschließt seit 2004 „Metrocable“, eine Seilbahn als Bus- oder Straßenbahnersatz, das bis dahin sich selbst überlassene Viertel Santo Domingo.

Das Zentrum von Medellin und Arbeitsmöglichkeiten dort sind nun in 20 Minuten zu erreichen, zuvor dauerte das zwei Stunden.

„Metrocable“ … fast ein Lebensgefühl

Zudem wurde 2007 mittendrin eine täglich geöffnete futuristische Stadtteil-Bibliothek eröffnet, Symbol aber auch Mittel einer besseren Teilhabe durch Bildung für alle.

Spanische Bibliothek in Medellin, Kolumbien

Inzwischen hat sich die Lage spürbar verbessert (vgl. auch FAZ vom 2. April 2012).

Eigentlich klar …

Entscheidend dafür, auch mal Ungewöhnliches zu wagen, ist jedoch, wie meist, der Wille, die Lernbereitschaft und Kreativität in Unternehmen oder Verwaltungen. Im Idealfall aber auch das Timing: Starten, bevor der Stimmungsumschwung oder gar die Krise hereinbricht. Was da hilft, ist eine solide langfristige Orientierung, die nicht nur rein ökonomischen Werten folgt (mancher „Business Case“ rechnet sich halt erst ex-post). Und ein Klima in der Organisation, in dem nicht jeder nur auf den Chef wartet.

* Nachhaltigkeit – ökologisch, ökonomisch und sozial. Eine gute Zusammenfassung bietet der „Unternehmerspiegel Nachhaltigkeit“ des Bundes Katholischer Unternehmer, zu finden unter: www.bku.de/Publikationen/sonstiges.html

** Harvard Business Review, October 2010

*** vgl.: Isaacson, Walter: „The Real Leadership Lessons of Steve Jobs“, Harvard Business Review, April 2012

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