Auftragssteuerung auf Autopilot

Schneller und verlässlicher mit Conwip 4.0 Steuerung.

Überblick behalten und Prozesse regeln, satt Fleißkärtchen sammeln. So könnte die Aufgabenbeschreibung für Planer, Auftragsdisponenten und Fertigungssteuer in Zukunft lauten. Natürlich schafft es ein Erfolgserlebnis, einen besonders wichtigen Kundenauftrag auf den letzten Drücker doch noch termingerecht auf den LKW zu bringen. Aber das ist Fleißarbeit im Reparaturbetrieb. Akribische Produktionspläne aufzustellen und permanent zu aktualisieren ist ebenfalls vergebliche Mühe. Fehlende Stabilität in der Kundennachfrage macht jeden exakten Plan zunichte. Grobe Pläne reichen völlig aus. Es kommt in der Produktionssteuerung auf ganz andere Qualitäten an. Das Ziel ist, sehr verlässlich lieferfähig zu bleiben: reaktionsschnell und ohne Verschwendung – trotz vieler Unwägbarkeiten.

Deterministisch oder selbstregelnd und agil?

Erzählungen zur Digitalisierung lesen sich manchmal wie Science-Fiction; in nicht allzu ferner Zukunft beherrscht IT die Fabrik komplett. Das passt zur unbewussten (?) Haltung vieler Entscheider, lieber teure IT-Lösungen einzukaufen, ohne immer recht zu wissen, was drin ist, statt mehr in das eigene Know-how zu investieren. Man setzt auf die (deterministische) Planbarkeit aller Umstände, würde sich aber besser intensiv mit den fundamentalen Gesetzmäßigkeiten von Fertigungsabläufen und Auftragssteuerung befassen, um mit weniger Komplexität und gezielten Status-Informationen mehr Flexibilität zu erreichen. Und sich erst dann nach IT umsehen.

Perspektive Industrie 4.0

Vielleicht läuft der Betrieb künftig ja ganz ohne Fertigungssteurer. In der Industrie 4.0 Welt kommunizieren Werkstück (Auftrag) und Maschine (Herstellprozess) direkt miteinander. Sie verfügen über alle relevante Information, um autonom zu entscheiden, was wie wo als nächstes gemacht werden soll und sie kommen auch mit Störungen zurecht. In Modellfabriken ist das zum Teil schon Wirklichkeit. Ganz verschwunden ist der Mensch selbstverständlich nicht. Irgendjemand muss schließlich das System konzipieren, es robust auslegen, Entscheidungsregeln oder KI programmieren sowie Spielregeln für die Abwicklung von Kundenaufträgen aufstellen. Schöne neue Welt.

Wenn Toyota in der Montage statt auf mehr Roboter auf die flexiblere menschliche Arbeit setzt, zeigt das, dass Automatisierung (noch) nicht alles kann und der Mensch in vielen Bereichen überlegene Qualitäten besitzt. Aber, es geht ohnehin nicht um ein Entweder-oder zwischen Mensch und Technik. Mit der Digitalisierung verändern sich unsere Arbeitsprozesse. Der klassische Planer, Disponent oder Fertigungssteurer jedenfalls bekommt mächtig Konkurrenz. Und wenn er nicht wie der sprichwörtliche Heizer auf der Diesellok* enden will, müssen sich die Unternehmen etwas einfallen lassen. Wie wär’s damit:

Autopilot Conwip 4.0 – Prozesse regeln, statt Aufträge steuern.

Conwip – Constant-Work-in-Process – steht für ein Pull-Verfahren der Produktionssteuerung, das im Unterschied zu Kanban sehr breit einsetzbar ist. Gleichzeitig verkörpert es ein Grundgesetz logistischer Systeme: Little’s Law. Es eignet sich als Steuerungsprinzip in einer Industrie 4.0 Welt mit volatiler Nachfrage, in der dynamische Produktions-Engpässe auftreten und autonome Prozessmodule verkettet so arbeiten, dass möglichst alle Aufträge pünktlich abgeliefert werden. Die Verkettung der Prozessmodule geschieht über „Stocks & Flows“ Regelkreise (siehe Bild):

Engpass-Steuerung: Stocks & Flows

Die Conwip-Logik ist die Leitschnur für die Gestaltung der Auftrags- und Produktionsprozesse (unter Anwendung der bekannten Lean-Methoden). Auftragssteuerung auf Autopilot umstellen bedeutet, Regelfälle zu automatisieren und freie Energie auf die Optimierung des Gesamtsystems zu lenken. Wie könnte das aussehen? Ein 5-Punkte-Programm:

1. Neue Kundenaufträge werden automatisch bestätigt und in Planaufträge für die Produktion umgesetzt.

Das gilt für alle regelkonformen Aufträge. Diese Regeln müssen festgelegt werden und allen transparent sein, beispielsweise Lieferzeiten, maximale Bestellmengen, Bezahlkonditionen oder kundenspezifische Besonderheiten; ergänzt um Plausibilitäts-Checks. Ausnahmen werden weiterhin manuell bearbeitet, aber mit dem Anspruch deren Notwendigkeit zu reduzieren. Aus dem aktuellen Bestand an Planaufträgen lässt sich eine grobe Belastungsvorschau der potenziellen Engpass-Kapazitäten ableiten; sie dient der flexiblen (manuellen) Kapazitätssteuerung.

2. Die Produktion besteht aus weitgehend autonomen Prozess-Modulen (Regelkreisen), die über selbststeuernde Pull- oder Push-Mechanismen verbunden sind (Netzwerk).

Ein zentraler Planauftrags-Bestand trifft auf eine dezentrale Steuerung. Das zentrale ERP-System gibt nur den frühsten und spätesten Auftragsstarttermin vor, alles andere wird lokal im Produktionsnetzwerk geregelt. Ist das erste Produktionsmodul bereit für den nächsten Auftrag („Grün“), soll gleichzeitig gewährleistet sein, dass alle nachfolgenden Produktionsmodule ebenfalls termingerecht arbeiten können – ohne Feinterminierung auf Auftragsebene. Ein Beispiel für so verkettete Produktionsmodule: Elektronikfertigung. Klar braucht es Nachdenken und Austesten bis so ein Produktionssystem in einer ersten Ausbaustufe steht, die Verkettung der Regelkreise „in Takt“ ist, Spielregeln und alternative Arbeitspläne klar, die lokale Feinsteuerung auf Basis geeigneter Leistungsdaten eingeschwungen und die Kapazitäten einigermaßen im Gleichgewicht sind. Auch hier nutzt Präzision nichts; das Maß ist vielmehr die Fähigkeit des Produktionssystems, mit Volatilität (z.B. der Nachfrage) und Engpässen optimal umzugehen. Das führt zum nächsten Punkt:

3. Das Produktionssystem auf Resilienz trimmen.

Resilienz bedeutet, dass eine Störung oder ein Maschinenausfall nicht gleich das ganze System außer Tritt bringt, Durchlaufzeiten kräftig ansteigen lässt und das Ganze relativ lange braucht, bis es wieder in Balance ist. Das klassische Mittel, um zumindest oberflächlich Resilienz zu erzeugen, sind Materialpuffer. Die Kür wären vorrausschauende Lösungen, beispielsweise Prognosemodelle, die aufgrund aktueller Statusdaten von Material und Fertigungsprozessen Störungen vermeiden helfen. Dazwischen liegen viele andere Möglichkeiten, smarte Puffer ins System einzubauen.

4. Das Produktionssystem immer besser verstehen und Aufträge (indirekt) nur noch über Systemparameter steuern.

Jetzt kommt der operative Auftragsdisponent oder Fertigungssteurer ins Spiel. Conwip ermöglicht Steuern einfach über „Bestandsregler“ und ohne sich um den einzelnen Auftrag zu kümmern. Damit es simpel wird, braucht es etwas Köpfchen (s.o.). Für jedes Prozessmodul (Regelkreis) wird ein maximales Bestandsniveau (WIP) definiert, das gleichzeitig die Durchlaufzeit eines Auftrags durch den Fertigungsbereich auf ein Ziel-Niveau begrenzt (Little’s Law). Diese Bestandsgrenze ist nicht fix, sondern hängt von der aktuell verfügbaren Kapazität ab. Aufgabe der Fertigungssteuerung ist es, diese Bestandsgrenze immer auf dem richtigen Niveau oder in der  Bandbreite zu halten. Die eigentliche Freigabe von Fertigungsaufträgen kann weitgehend automatisch durch das ERP- oder MES-System erfolgen**. Ähnlich einem Airbus-Piloten beschränkt sich die Rolle des Steurers dann auf’s Überwachen.

5. KVP – es geht immer noch einfacher, sicherer, besser.

Ein großer Sprung ist geschafft, es läuft, dem Wettbewerb ist man ein Stück enteilt, die wichtigsten Kennzahlen stehen auf Grün. Alles super also? Nicht ganz. Die Königsdisziplin ist es, dennoch weiterzumachen und sich jeden Tag den kleinen Stellschräubchen zu widmen – und wo sinnvoll, mehr zu automatisieren.

Auftragssteuerung auf Autopilot ist ein Perspektivenwechsel. Am System arbeiten, statt nur ameisenfleißig alle Rädchen am Laufen halten, darauf kommt es an.

**aus „Fortschritt ohne Gnade“, von Michael Jungblut, 8.12.1967, ZEIT ONLINE
**Voraussetzung sind eine verlässliche Datenqualität und die Nachvollziehbarkeit der ERP-Rechnung durch Planer und Disponenten.

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