Verkalkuliert? Lean und die Betriebswirtschaft.

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Andreas Syska.

Lean Management dient der Verschlankung von Prozessen. Optimierte Prozesse wiederum „rechnen sich“, zumindest in gewinnorientierten Unternehmen – sonst wären sie ja nicht optimiert. Dennoch gibt es immer wieder Einspruch vom Controller. Also läuft irgendetwas schief. Nur was? Fragen an Prof. Dr. Syska. Er lehrt Produktionsmanagement an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach und befasst sich u.a. mit „Lean Production Controlling“.

Prof. Dr. Andreas Syska
Prof. Dr. Andreas Syska

Steht der klassische Controller eigentlich mit Lean auf Kriegsfuß?

Vom Grundsatz her natürlich nicht, weil er ja alles gutheißt, was Produktivität erhöht und Kosten senkt. Und ihm ist klar, dass viele Unternehmen auf dem Weg zu Lean erstaunliche Erfolge erzielt haben, die auch für Controller messbar sind. Das Problem ist immer nur der jeweils nächste Schritt: dieser rechnet sich häufig nicht. Deswegen fühlt sich der Controller auch verpflichtet, diesen Schritt zu unterbinden. Seine Instrumente lassen ihm keine andere Wahl. Und so bleiben Losgrößen, wie sie sind und die Idee der zyklischen Materialversorgung in der Schublade.

Von Einstein gibt es den Ausspruch: „Ob man etwas beobachten kann oder nicht, hängt von der Theorie ab, die man benutzt. Die Theorie bestimmt, was man sieht.“ Liegt es vielleicht daran? Und wenn ja, was ist denn nun richtig?

Das trifft es sehr gut. Denn die Instrumente der klassischen Kostenrechnung und die zu Grunde liegende Theorie stammen aus einer anderen Zeit. In ihnen spiegeln sich der Glaube an unbegrenztes Wachstum und unbegrenzte Verfügbarkeit der Ressourcen ebenso wider, wie die Prinzipien des Verkäufermarktes. Wenn Ressourcen aber unbegrenzt vorhanden sind, gibt es keine Notwendigkeit, Verschwendungen transparent zu machen. Und wenn Märkte ins Unendliche wachsen, können Stückkosten leicht durch Mengenerhöhungen reduziert werden. Da beides nicht mehr gilt, ist der klassischen Kostenrechnung – und weiten Teilen der Betriebswirtschaft – der Boden unter den Füßen entzogen.

Bei Lean Management steht also der Weg zum Ziel im Mittelpunkt; die Betriebswirtschaft dagegen bewertet nur das Ergebnis. Aber in diesem Ergebnis müssten sich doch Lean-Wirtschaftlichkeit und Controller-Wirtschaftlichkeit wieder einig sein, oder?

Im Ergebnis schon – aber nicht im Weg. Lassen Sie es mich mit einem Beispiel ausdrücken: Wenn der Weg nach Lean einer Wanderung auf einen Berggipfel gleicht, dann hat der Lean-Manager diesen jederzeit im Blick und nimmt Schwierigkeiten auf dem Weg sportlich: ein reißender Gebirgsbach muss durchquert, eine Talsohle durchwandert werden – eben alles, was notwendig ist, um auf der anderen Seite den steilen Anstieg zum Gipfel zu schaffen. Der Controller hingegen achtet darauf, dass nur solche Wege eingeschlagen werden, die jederzeit einen Zuwachs an Höhenmetern bringen, wo also jeder einzelne Schritt wirtschaftlich ist. Am reißenden Gebirgsbach würde er eine Güterabwägung treffen und zum Schluss kommen, dass es besser ist, diesen zu vermeiden und an ihm entlang zu wandern. Schließlich geht’s auch so bergauf und man erspart sich nasse Füße. Dass dieser Weg kurzfristig erfolgreich ist, aber langfristig nicht auf den Gipfel führt, nimmt er billigend in Kauf. Und das Durchwandern einer Talsohle kommt für ihn überhaupt nicht infrage, hier wird aus seiner Sicht Geld vergeudet, ohne dass auf absehbare Zeit Erträge zu erwarten sind. So entsteht die paradoxe Situation, dass der Weg, den die klassische Kostenrechnung weist, wenn er denn überhaupt begangen wird (s.o.), in jedem einzelnen Schritt lohnender erscheint, langfristig aber das schlechtere Ergebnis erzielt.

Gut, Lean bedeutet eine andere Sicht von Wirklichkeit, und am Ende des Jahres steht in G&V und Bilanz ein positives Ergebnis. Aber welche Hilfsmittel sagen mir vorher, dass ich auf dem richtigen Weg bin?

Was wir brauchen ist eine grundlegend reformierte Betriebswirschaftslehre und eine neue Kostenrechnung. Hierzu einige Beispiele. Statt Kostenarten nach Material, Personal oder Abschreibungen zu gliedern, müssen die neuen Kostenarten Wertschöpfung und Verschwendung heißen. Dies lenkt den Blick auf das Wesentliche: Statt Lohnkosten und Einkaufspreise zu drücken, steht die Eliminierung von Verschwendung im Fokus. Bei Investitionsentscheidungen soll nicht die Lösung gewählt werden, die die kürzeste Amortisationszeit hat (also am Gebirgsbach entlang führt, statt ihn zu überqueren) sondern diejenige, die bei vorgegebener Amortisationszeit die größte Affinität zum Lean-Ansatz hat. Darüber hinaus müssen in Bilanzen Mitarbeiter auf der Aktivseite erscheinen und in der Gewinn- und Verlustrechnung sind Qualifikationsmaßnahmen nicht Kosten, sondern Investitionen.

Es geht also nicht um kosmetische Veränderungen, sondern um nichts Geringeres, als die Betriebswirtschaftslehre 2.0!

Wenn Sie’s auf den Punkt bringen wollen, ein Satz zur neuen Denke, wie Sie sie fordern:

Lean Denke und Kosten-Bewusstsein sind kein Widerspruch. Es gilt jedoch das Prinzip: „Wir machen es auf jeden Fall, und zwar so, dass es mittelfristig wirtschaftlich ist!“ anstatt, wie bisher zu sagen „Wenn es nicht wirtschaftlich ist, dann lassen wir es sofort bleiben“.

Herr Prof. Syska, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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