Wer keine Fehler macht, tut offenbar nichts. Noch schlimmer, er lernt auch nichts. Aus Fehlern lernen wir weit mehr, als aus Erfolgen. Jeder kennt das. Man muss nur kleinen Kindern zuschauen, wie sie sich durch Irrtum und Erfolg die Welt erschließen. Erwachsene vergessen das zuweilen und verfolgen die Strategie „keine Experimente“ (falls man so etwas überhaupt als Strategie gelten lassen will). Fehler machen sie dennoch, mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar eher „schlechte“ Fehler.
Schlechte Fehler sind Ereignisse, die uns nicht weiterbringen und die im schlimmsten Fall auch noch anderen sehr schaden. Gute Fehler können zwar teuer sein, der Lerneffekt jedoch kompensiert den Preis bei weitem. Ob ein Fehler eher gut als schlecht ist, liegt teils in der Natur des Problems, teils daran, was man als Person oder Organisation daraus macht.
Erschwerend kommt hinzu, dass wir Fehler als etwas Negatives erleben und sie gerne verdrängen. Einen Fehler als solchen rechtzeitig zu erkennen, ist daher eine der wichtigsten Leistungen.
Ein Blog eignet sich aber nicht für eine lange Abhandlung über Fehler. Ich will nur einen Aspekt anreißen: Fehler, die darauf warten, endlich als Chance aufgegriffen zu werden. Wo sollten Sie suchen?
Blinde Flecken
Sie lassen sich auch in gut geführten, erfolgsverwöhnten Unternehmen entdecken: der unbedingte Kostenfokus lässt den Faktor Zeit in der Supply Chain außer Acht, ein Zuviel an IT verdeckt alternative Prozesslösungen, tolle Innovationen in der Vergangenheit verstellen den Weg zu noch unbekannten Marktchancen (die dann andere nutzen, Beispiel Apple versus Nokia). Diese negative Kehrseite von Fokussierung bietet aber auch eine Chance zum „Paradigmenwechsel“ (ein großes Wort) oder, etwas milder, zur Entwicklung einer besseren Balance.
Fehler bleiben im Dunkeln
Manchmal wird der Fehler nicht wahrgenommen, weil er sich so eingeschlichen hat, wie im bekannten Beispiel mit dem Frosch, der ins warme Wasser gesetzt wird. Die Temperatur erhöht sich sehr langsam und als es ihm schließlich zu heiß wird, ist es zu spät (aber noch ist es ja nicht so weit!). Übrigens ist das gar nicht selten, getreu Artikel 3 des Kölsche Grundgesetzt „Et hätt noch immer jot jejange“. Studien zeigen, dass Probleme oder Risiken systematisch vernachlässigt werden, wenn sich, mit etwas Glück, der (geschäftliche) Erfolg immer wieder eingestellt hat*. Ein Beispiel ist die Einführung des iPhone4 von Apple. Die Probleme mit der Antenne waren Apple lange bekannt, aber erst als Mitte 2010 negative Nachrichten in Presse und Social Media überhand nahmen und der Versuch alles runterzuspielen misslungen war, ging man die Sache an.
Fehler werden aber auch bewusst verschleiert, weil der Überbringer der schlechten Nachricht nicht gerade belohnt wird. Eine andere Variante ist, dass die nächste Ebene der Organisation das Problem einfach ignoriert. Beides ist eher an der Tagesordnung, als selten. Eine Frage der Kultur im Unternehmen.
Erfolge feiern, (vorläufiges) Scheitern unter Verschluss halten
Das kommt gehäuft vor, wenn neue Initiativen anlaufen und „quick wins“ her müssen. Nicht dass diese schlecht wären, aber meist markieren sie nur eine Seite der Medaille. Probleme werden überstrahlt, es geht nicht im gleichen Erfolgstempo weiter, wichtige Voraussetzungen sind alles andere als gesichert und dauerhafte Lernerfolge bleiben eine mühsame Angelegenheit. Ungeduld ist verständlich, man hat ja schließlich lange unter den Unzulänglichkeiten gelitten. Nun muss es schnell gehen. Tut es aber nicht.
Ent-lernen braucht vielleicht zuerst Ent-täuschung, bevor es richtig aufwärts geht. Trost kommt von der Harvard Business School Professorin Rosabeth Moss Kanter. Sie nennt es ohne falsche Bescheidenheit Kanter’s Law: „Anything can look like a failure in the middle“. Neue Erfahrungen und dauerhafte Erfolge brauchen eben ihre Zeit. Diese Zeit auch einzuräumen, zeigt Managementqualitäten.
„Es ist zwar nicht gut, aber alle Alternativen sind noch schlechter“
Das kann auch ein Spielart von „Fehler entdeckt, Analyse oberflächlich, nächste Aktion (mehr vom Gleichen)“ sein. Ohne ein gewisses und bewusst eingegangenes Risiko gibt es keinen Fortschritt. Manchmal muss man einfach raus aus der Komfortzone, und ein kontrolliertes Experiment wagen. Solche Beharrungskräfte des Status Quo zu überwinden ist ein Führungsthema. Und irgendwann gilt dann doch Artikel 5 des Kölsche Grundgesetzt: „Nix bliev wie et wor“.
Was hat das alles mit komplexem Supply Chain Management zu tun? Wenn Verkauf, Produktion, Einkauf und Logistik (Finanzen nicht zu vergessen) die gemeinsame Linie suchen, um Kunden einen hervorragenden Lieferservice zu bieten, ist das auch ein Wettstreit konkurrierender Interessen und unterschiedlicher Fähigkeiten. Dabei in kompetenter, offener und wertschätzender Weise zu einer anerkannten Lösung zu kommen, ist eine super Leistung, die nicht vom Himmel fällt (s.o.).
Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt: Das „Archiv der Fehler der Vergangenheit“ (Manfred Osten) ist ein reicher Schatz an Erfahrungen.
*Quelle: Tinsley/Dillon/Madsen How to Avoid Catastophe inHarvard Business Review, April 2011
1 comment
Tja, das könnte einen ja richtig Traurig machen. Mir hilft die Sprache in diesen Situationen weiter: Anstelle Fehler spreche ich lieber über den Ausgang eines Experimentes. Mit dem Begriff Experiment lässt sich Aufwand, Zeit und Ergebnis verbinden. Es lässt sich besprechen welche Experimente wiederholt werden müssen, wo uns die Daten fehlen etwas zu lernen oder wie hoch der Aufwand für unkontrollierte Experimente ist. Insofern gibt es „gute“ und „schlecht“ entworfene Experimente.