Risiko Aufschwung. Wenn Bestände schneller wachsen als der Cashflow.

„Im Aufschwung droht die Insolvenz“ schreibt Ferdinand Dudenhöffer im Handelsblatt (Ökonomischer Gastkommentar am 14.10.2009). Was verbirgt sich eigentlich hinter dieser Befürchtung? Während im Abschwung eine überproportional hohe Reduzierung des in Beständen gebundenen Kapitals eintritt, passiert im Aufschwung das genaue Gegenteil. Das erwischt Unternehmen immer wieder ziemlich unvorbereitet. Dabei ist das eine Art Naturgesetz.

Naturgesetz – Jojo-Effekte in der Bestandsentwicklung
Dieser Effekt lässt sich an einem einfachen Beispiel zeigen. Kunden kaufen ein bestimmtes Produkt. Die ursprüngliche Nachfrage von 10 Einheiten pro Woche erhöht sich zunächst auf 12, dann auf 15 Einheiten. Genau diese Mengen werden vom Produzenten auch hergestellt und geliefert. Dazu benötigt der Produzent Material von einem Lieferanten und dieser wiederum von einem Unterlieferanten. Die angenommene Lieferzeit zwischen Lieferkettenpartnern beträgt jeweils 4 Wochen.
Abbildung 1 zeigt diese Lieferkette:

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Anders als man intuitiv meinen sollte, entwickelt sich die Nachfrage beim Unterlieferanten jedoch nicht synchron, sondern weist abrupte Bedarfsspitzen auf.

Abbildung 2 zeigt den Bedarfsverlauf Kunde/Unterlieferant. Die blaue Kurve zeigt die Entwicklung der Kundennachfrage. Die rote Linie gibt die Mengen wieder, die der Unterlieferant bereitstellen muss, um diese Kundennachfrage zu bedienen. Der Unterlieferant muss erheblich mehr produzieren als zunächst erwartet. Tatsächlich muss der Lieferant den steigenden Bedarf vorwegnehmen; das ignorieren wir hier der Einfachheit halber ebenso wie Kapazitätsrestriktionen.

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Woher kommt dieser unerwartete Mehrbedarf? Die Ursache ist, dass sich der Querschnitt der Lieferkette um 2, später um weitere 3 Einheiten erhöht. Über die 12-wöchige Lieferfrist zwischen Unterlieferant und Endkunde muss diese Pipeline einmalig aufgefüllt werden: im ersten Schritt werden dazu 24 Einheiten benötigt. In jeder Lieferstufe findet Bestandaufbau statt. In diesem Beispiel erzeugt die Nachfrageerhöhung um 2 Einheiten pro Woche beim Produzenten einen einmaligen Aufbau der gebundenen Bestände um 8 Einheiten; bis zum Unterlieferanten summiert sich das auf 24 Einheiten. Je weiter „upstream“ ein Lieferant sitzt, desto stärker wirkt sich dieser Effekt aus.
Abbildung 3: Einmaliger Bestandaufbau in der Lieferkette (bei 20%igen Wachstumsschub der Kundennachfrage)

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Halbe Durchlaufzeit – um 50% reduzierte Bestände
Halbiert sich nun die Lieferzeit auf nur noch 2 Wochen, fällt der Bestandsaufbau in der Lieferkette ebenfalls auf die Hälfte. Bei einem Nachfrageanstieg um 2 Einheiten pro Woche, muss der Unterlieferant statt 24 Einheiten „nur“ 12 Einheiten zusätzlich bereitstellen.
Abbildung 4: Bedarfsverlauf bei einer Lieferzeit von 2 Wochen.

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In der Realität fällt der hier dargestellte Effekt meist erheblich gravierender aus. Zusätzlich zum hier gezeigten Aufbau des Pipeline-Bestandes schlagen weitere Elemente des so genannten  Bullwhip Effekts zu. Ein Beispiel: Wenn Unterlieferanten die Bestellungen ihrer Kunden immer für den tatsächlichen Bedarf halten, stellen sie sich auf eine dauerhaft erhöhte oder reduzierte Nachfrage ein. Wenn sich das dann als Trugschluss herausstellt, entstehen wilde Überschwinger in der eigenen Nachfrage nach Vormaterialien.

Fazit
Ob es sich nur um ein kurzes Strohfeuer der Nachfrage oder einen dauerhaft spürbaren Aufschwung handelt, lässt sich nicht leicht beurteilen. Als Lieferant kennt man seine Position in der „Nahrungskette“. Wenn man dann noch weiß, wie sich der Endverbraucher verhält und wie die eigenen, direkten Abnehmer typischerweise reagieren oder agieren, hat man eine gute Basis für eine realistische Einschätzung und somit zur Vermeidung von Bullwhip Effekten.

Was die drohende Liquiditätsenge durch den Aufbau des Pipeline-Bestandes betrifft, hilft nur eines: Reaktions- und Lieferzeiten deutlich verkürzen. Da geht meist mehr als man auf den ersten Blick glaubt. Ein großer Teil typischer Planungs- und Auftragslaufzeiten sind ohnehin Wartezeiten.

Für Zulieferer ist es wichtig, Abnehmer in unterschiedlichen Branchen zu haben, um das Risiko gleichzeitig auftretender Auf- oder Abschwünge zu vermeiden. Auch das dämpft Bullwhip-Effekte.

Aus Sicht der Unternehmen, die eine steigende Nachfrage ihrer Endkunden erleben, sieht die Welt anders aus. Sie müssten ihre Lieferanten und deren Vorlieferanten schon viel früher motiviert haben, die eigenen Vorräte aufzustocken („Lageraufbau“). Sonst passiert, was man z. Zt. wieder bei den Herstellern elektronischer Bauteile beobachten kann, in Teilbereichen herrscht Knappheit und die Lieferzeiten steigen. Auch hier helfen gestraffte Produktions- und Lieferabläufe.

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