Lean arbeiten oder pünktlich liefern?

Es klingt wie ein Widerspruch und häufig ist’s auch einer. Die einen propagieren Lean-Methoden als die ultimative Lösung für effiziente Prozesse in Produktion und Verwaltung; die anderen schauen auf Kundenzufriedenheit und Umsatz und sichern die Lieferfähigkeit im Zweifelsfall mit hohen Beständen. Unternehmen, die mit breitem Produkt-Sortiment in volatilen Märkten tätig sind, erleben das durchaus als Spagat zwischen Kosten und Umsatz – jenseits aller konkurrierenden Überzeugungen. Aber, gibt es diesen Widerspruch tatsächlich?

Dieser Frage sind Joachim Klesius, ein renommierter Lean Management Berater, und ich, im Gespräch nachgegangen.

Joachim Klesius (links), Reinald Wolff
Joachim Klesius (links), Reinald Wolff

Lieber Joachim, wir kommen von verschiedenen Seiten und sprechen oder besser sprachen ja nicht immer die gleiche Sprache. Inzwischen haben wir einiges voneinander gelernt und entdeckt, dass unsere Sichten doch sehr ähnlich sind. Lass uns das an vier Fragen festmachen:

Was heißt eigentlich „lean“ …?

Joachim Klesius: Werte ohne Verschwendung zu schaffen – in allen Unternehmensbereichen und Prozessen! Und das heißt in erster Linie selber machen, nicht Lass-einen-anderen-nachdenken.

Reinald Wolff: Mit dem Blick auf Lieferservice heißt lean für mich, Wartezeiten vermeiden – Aufträge sollen durch die Fabrik „fließen“, nicht rumstehen. Ein zweiter Aspekt von lean betrifft die innere Haltung von Führungskräften und Mitarbeitern: Hinderungsgründe und Probleme sehen wollen, sehen lernen, nach neuen Wegen suchen, sich dafür die nötige Zeit nehmen und die erarbeitete 70%-Lösung zügig umsetzen.

Reden wir vom Gleichen, wenn wir „im Kundentakt produzieren“ wollen?

Joachim Klesius: Ja, das tun wir in der Tat, jedoch bedeutet lean für mich an erster Stelle die innere Bereitschaft zu haben, Verschwendung als einen Normalzustand in Prozessen zu akzeptieren. Wenn sich Unternehmen mit dieser Verschwendung befassen und sie eliminieren, bringen sie Prozesse zum Fließen. Fluss im Kundentakt ist unser gemeinsamer Nenner.

Reinald Wolff: Firmen, die reaktionsschnell eine breite Palette an Produkten fertigen oder montieren, tun sich mit dem Begriff Takt schwer, vor allem wenn der build-to-order Anteil hoch ist. Was es aber immer gibt, ist der nächste dringende Kundenauftrag. Den pünktlich zum zugesagten Liefertermin abzuliefern, und das ohne allzu üppige Bestandspuffer in der Lieferkette, das heißt für mich „im Kundentakt produzieren“. Verschwendung eliminieren ist die Voraussetzung dafür.

Wie passen „lean“ und „pünktlich“ zusammen?

Joachim Klesius: Wenn wir mit pünktlich „just-in-time“ meinen, das richtige Produkt in der richtigen Qualität zur richtigen Zeit, ist lean eine Philosophie, um diese „Pünktlichkeitsoffensive“ zu realisieren.

Reinald Wolff: Lean und pünktlich sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Lean hat stabile, verschwendungsarme Prozesse zum Ziel. Verlässlich kurze Lieferzeiten basieren auf stabilen Prozessen – ohne Terminjäger in der Produktion, die ja mehr Unpünktlichkeit erzeugen als sie beseitigen.

Wo ist der größte Handlungsbedarf, um lean und lieferfähig unter einen Hut zu bringen?

Joachim Klesius: M.E. im Kopf der Gestalter, die den Hut auf haben. Lean ist eine bewusst gewählte Grundüberzeugung und verlangt konsequente Führung.

Reinald Wolff: Der Handlungsbedarf liegt bei den Menschen und ihren Rollen. Der betriebsinterne Lean-Guru konzentriert sich mit seinem Methodenkoffer auf die Optimierung von Arbeitsplätzen oder Fertigungsinseln. Der Supply Chain Manager hat die ganze Lieferkette im Blick. Da bringt eine optimierte Lean-Insel nichts, wenn sie nicht zufällig den Engpass im ganzen System bildet. Aus Sicht eines optimalen Auftragsflusses muss die Kette als ganzes lean gestaltet sein, ohne an Auszehrung zu leiden – Puffer sind ja nicht nur „Verschwendung“, sondern manchmal notwendig, um beispielsweise externe Schwankungen der Nachfrage oder Störungen im Zulieferprozess zu dämpfen. Wenn wir lean stärker als innere Haltung und als Führungsthema mit gemeinsamer Zielorientierung wahrnehmen, können wir dogmatische Konflikte verhindern.

Joachim Klesius
ist selbständiger Trainer und Berater für Lean Manufacturing und Partner im Netzwerk IMPULS lean experts and network. 2011 gründete er das Impuls Trainingscenter (ITC GmbH) in Köln  www.impuls-trainingscenter.de. Er verfügt über ausgeprägte Umsetzungserfahrung in Autoindustrie, Metallverarbeitung und in der Konsumgüterbranche sowie langjährige Führungserfahrung in produzierenden Unternehmen.

 

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